Rechercheprojekt zum Thema: Gegenwart
frei nach der Serie "Killing Eve" von Phoebe Waller-Bridge (BBC America)
Akademie der Darstellenden Künste Baden-Württemberg, Ludwigsburg Juni 2021

Foto@JonasArndt

CHOR DER ZUSCHAUER*INNEN
Ich vermisse dieses Gefühl… dieses Kribbeln im Bauch… dieses Rasen im Herzen… vielleicht sogar… ein kleines Kitzeln zwischen den Beinen. Ich hatte das früher mal. Ich kenne das noch. Das hat mir Spaß gemacht. Das hat mir gesagt, du bist da. Du bist dabei. Und das hat mich neugierig gemacht. Weil, da war eine Welt, da war eine Arena, da war ein Aquarium. Das ist alles so nah und das ist alles so fern und das ist alles perfekt für meinen Konsum aufbereitet. Die Gewalt macht mir Spaß. Ich liebe die Gewalt. Und die Machtspiele. Und das Chaos. Und dann habe ich so ein Gefühl… Aber ich bin ja sicher. Sicher. Sicher. Ich kann das ja ganz konsumieren, wie mir das passt und wie ich das vertrage. Ich habe ja die Kontrolle. Kontrolle. Kontrolle. Das ist wie zuschauen. Da kann man ja noch träumen. Das mache ich ja sonst nicht mehr. Das ist ja nicht nur zuschauen. Da ist man ja involviert. Da ist man ja investiert. Da sind ja diese Gefühle. Gefühle. Gefühle. Und dieses entführt werden.
Ich bin anspruchsvoll geworden.  Das stimmt. Ich habe keine Instinkte mehr. Und ich habe keinen Spaß mehr an den Dingen, die mir Freude bringen sollten. Ich langweile mich. Ich bin sehr schnell gelangweilt. Ich kann mich nicht mehr so gut langweilen, wie früher einmal. Vielleicht habe ich auch ein Bedürfnis nach Menschen. Nach außergewöhnlichen Menschen. Menschen, die schlauer sind, als ich und die schöner sind als ich und die aufregender sind, als ich und die mehr Sex haben als ich und die Dinge machen dürfen, die ich nicht machen darf und die Probleme haben, die ich niemals gedacht hätte, dass man sie haben kann und die Fragen stellen, die ich niemals gedacht hätte zu stellen. Und nach Gefühlen. Ich brauche Gefühle. Immer mehr Gefühle. Gefühle. Gefühle. Und das ist ja menschlich. Also wenn ich eine Psychopatin brauche, um durch den Tag zu kommen, dann geht das ja wohl niemanden etwas an, außer mich und meinen Laptop und mein Sofakissen und meinen Bauch und mein Herz und meine Gänsehaut und meine Fantasie.
Die Moral… ist dann ja vielleicht gar nicht so wichtig. Vielleicht muss ich das akzeptieren. Vielleicht geht es darum ja gar nicht. Ich bin eben ein Junkie. Und vielleicht bin ich nicht so rational, wie ihr das gerne hättet. Sagt mir einfach, was ich denken soll. Dann überlasse ich das Denken euch und kann mich voll und ganz auf meine Gefühle konzentrieren. Ich habe Entzugserscheinungen. Entzug nach Nähe und Erregung und Herausforderung und Geschwindigkeit und weiblichen Protagonistinnen und Psychopatinnen und Blut und Gewalt und Sex und fernen Welten, in denen andere Regeln gelten, als in meiner. Welten, in denen keine Regeln gelten. Welten, in denen die Lösung für alles das Zücken einer Pistole ist. Das finde ich ja eigentlich nicht gut. Aber es gibt auch witzigen Dialog, deshalb ist das okay.
Das hat ja keine Konsequenzen. Ich übernehme dafür ja keine Verantwortung. Das heißt ja nicht, dass ich jetzt eine Psychopatin bin. Oder sein wollen würde. Oder dass ich sowas tue. Oder tun wollen würde. Ich will ja nur… Zuschauen.
Magst du es lieber zu beobachten oder beobachtet zu werden?

EVE
Beides!
Aus: Jonas Arndt: Killing Eve, 1. Szene: Let’s all say a prayer for the deeply suffering 
Regie und Text: Jonas Arndt
Mit: Annbritt Faubel, Sisi Forster, Anna Maria Zeilhofer
Mentorat: Tucké Royal

You may also like

Back to Top